Rückblick zwei Jahre “Abgehängt? Eingeholt! Jung, ländlich & vielfältig” – politische Jugendbildung in ländlichen Räumen

von Franziska Holze

Bauernproteste, große Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, bevorstehende Landtagswahlen in drei ländlich geprägten Bundesländern, der Konflikt in Gaza. Jugendliche mit Migrationshintergrund, die gerade nicht wissen, ob sie über die Deportationspläne der AfD Witze machen oder sich ängstigen sollen. Politisch ist derzeit einiges los. Wichtiger denn je, ist die Demokratiebildung unserer Gesellschaft. Denn Demokratinnen und Demokraten fallen nicht vom Himmel – Demokratie muss gelernt werden! Unser Blick richtet sich daher auf unser Projekt “Abgehängt? Eingeholt! Jung, ländlich & vielfältig" – ein Projekt zur Stärkung der Demokratiebildung junger Menschen – auch abseits der Tagespolitik.
Flipchart
Flipchart (Foto: Tina Kortsch, Jugendbildungsreferentin, Denkhaus Loccum e. V.)

Der Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum (VBLR) unterstützt seit zwei Jahren das Respekt Coach Programm des BMFSFJ gemeinsam mit fünf anderen Trägern der politischen Jugendbildung. Seit 2018 wurden Respekt Coaches eingesetzt, um an Kooperationsschulen ein Konzept zur Extremismusprävention zu etablieren, Angebote für Schüler:innen umzusetzen und mit Kooperationspartner zusammen zu arbeiten.

Der VBLR setzte das Projekt zu Beginn mit zehn Jugendbildungsreferentinnen und -Referenten um, die Angebote für Respekt Coaches, Schulen und junge Menschen in ländlichen Räumen entwickelten und umsetzten. Dabei geht darum, Demokratie nicht nur als Regierungsform zu verstehen, sondern sie als Lebens- und Gesellschaftsform zu erleben. Demokratiebildung bedeutet Erfahrungen und das Gefühl, verbunden zu sein, etwas bewirken zu können, Anerkennung zu spüren und Verantwortung zu übernehmen. Und dies vor Ort erlebbar zu machen.

Dies geschah in den vergangen zwei Jahren auf unterschiedliche Weise. Gemeinsam entwickelten die Jugendbildungsreferentinnen und -Referenten auf mehreren Arbeitstreffen die Ausrichtung des Projekts und eigene Zielsetzungen. Je nach vorhandener Expertise und den Bedarfen der Schulen in den Regionen der Bildungshäuser wurden verschiedenen Angebote entwickelt. Hier eine Auswahl der entstandenen Angebote:

  • Es entstand ein Escape Room zum Thema Landwirtschaft und Klimawandel, in dem die Teilnehmenden für die Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und Klimakrise sensibilisiert wurden. Auch zu den Themen Europa und zu Populismus setzen mehrere Jugendbildungsreferent:innen Escape Rooms ein, um an Schulen in ländlichen Räumen zu den Themen mit den Klassen zu arbeiten.
  • Im Workshopkonzept „Pop the bubble“ setzen sich junge Menschen mit dem Thema Meinungsvielfalt auseinander. Inhalte waren hier beispielsweise die Reflexion der eigenen Lebensrealitäten, eigene Werte und Grenzen und die Frage danach, was passiert, wenn die eigenen Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden. Geübt wurden dabei auch kommunikative Techniken für kontroverse Gespräche.
  • In einem Konzept unter dem Titel „Heimat finden“ wurde ein Empowermentangebot für junge Frauen mit Migrationsbiografie geschaffen. Dabei absolvierten zwei Gruppen parallel jeweils die Jugendgruppenleiterinnenausbildung und die andere Gruppe eine Bildungsmaßnahme im Bereich politischer Bildung. Dabei konnten sie sich unter anderem mit Medienkompetenz, Mobbing, eigenen Grenzen, sowie Meinungs- und Religionsfreiheit befassen. Die gemeinsame Unterbringung und punktuelle Überschneidung der Gruppen, half beim Kennenlernen und motivierte die zweite Gruppe selbst eine JuLeiCa- Ausbildung zu absolvieren. Diese soll helfen, sich ehrenamtlich einzubringen und Teilhabe zu ermöglichen. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit der katholischen Jugendverbandsarbeit in der Region.
  • Bei dem Workshopkonzept „Dagesh on tour“ bekamen Jugendliche die Möglichkeit sich mit ihrer eigenen Identität, Vorurteilsstrukturen, eigenen Denkmustern und mit dem Thema Antisemitismus zu befassen. Gemeinsam mit jüdischen Künstler:innen und ihren Videoarbeiten wurde sie selbst kreativ und befassten sich mit gesellschaftlichen Fragen nach Pluralität und Respekt.
  • Auch im Workshop Heimat3 setzten sich die jungen Menschen mit Fragen ihrer Identität auseinander. Neben der persönlichen Ebene von Heimat befassen sich die jungen Menschen auch mit gesellschaftlichen Fragen von Heimat und Instrumentalisierungen des Begriffs, sowie den Fragen von Heimat in unserer Einwanderungsgesellschaft und damit verbundenen Fragen von Flucht und Migration.
  • Nicht nur für junge Menschen setzten die Jugendbildungsreferentinnen und -Referenten Angebote um, sondern auch für Respekt Coaches, Aktive in der Jugendbildung in ländlichen Räumen und Berufsschullehrkräfte. Beispielweise in der Fortbildung „Mitmischen“ zum Thema Partizipation, bei „How to Do? – Demokratiebildung gestalten“ mit Methodenansätzen oder in der Fortbildung „Umwelt schützen – Demokratie gestalten“ zum Umgang mit extremistischem Gedankengut im Bereich Landwirtschaft und Umweltschutz.

Mehr Einblick in entstandene Vielfalt an Workshops, Projekte und Online-Angebote und Fachbeiträge finden sich auf der Homepage des Projekts „Abgehängt? Eingeholt! – Jung, ländlich und vielfältig.

Wichtig war uns, der Andreas Hermes Akademie, in der Koordination des Projekts die unterschiedlichen Expertisen und Ideen aus den verschiedenen Bildungshäusern zusammen zu bringen, um Raum für neue Ansätze zu schaffen. In regelmäßigen Onlinetreffen unterstützten sich die Bildungsreferentinnen  und -Referenten gegenseitig. Dabei tauschten sie sich zu ihrer Vernetzung vor Ort und zu Projektideen aus. Sie unterstützten sich bei der Entwicklung von Konzepten und Veranstaltungen. An einigen Stellen arbeiteten sie dabei direkt zu zweit oder mit mehr Beteiligten zusammen. In Form kleiner Mini-Fortbildungen gaben sie sich gegenseitig Einblick in methodische Ansätze oder teilten Fachwissen zu bestimmten Themen. In Einzelgesprächen durch die Projektkoordination wurden die Bildungsreferentinnen und -Referenten in der Projektentwicklung unterstützt.

So konnte auf kooperative Weise eine vielfältige Projektumsetzung gestaltet, bedarfsgerecht lokal agiert und die Vernetzung von Bildungshäusern im Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum erweitert und vertieft werden.

Die Zusammenarbeit mit Schulen war für einige Bildungshäuser neu oder bisher noch nicht intensiv im Blick und bot neben vielen Chancen auch Herausforderungen. So konnten im Projekt viele Erfahrungen in der durch das Projekt neuartigen Zusammenarbeit zwischen Schule, Jugendsozialarbeit und außerschulischer politischer Bildung gesammelt werden.

2024 wird das Respekt Coach Programm durch das BMFSFJ und damit auch das Präventionsprogramm der beteiligten sechs Träger der GEMINI fortgeführt. Durch Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt wird das Projekt im VBLR mit fünf beteiligten Bildungshäusern und einem Augenmerk auf das Thema Antisemitismus vorerst bis Ende des Jahres fortgeführt.

Die Autorin

Franziska Holze

Projektkoordinatorin und Bildungsreferentin

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